Geschichte bzw. Rekonstruktion der Varus- oder Hermannsschlacht, der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Chr.
1.
Einleitung
In der Varusschlacht, der Schlacht im Teutoburger Wald († 2013) 9 nach Chr., fanden in einem über drei Tage dauernden Gemetzel drei Elite-Legionen (die 17., 18. und 19. Legion), drei Reitergeschwader und sechs weitere Kohorten Fußtruppen, zusammen etwa 18.000 römische Soldaten, den Tod. Die Römer verfolgten den Plan, die rechtsrheinischen Gebiete, das von ihnen so genannte Germanien, zu erobern und die dort lebenden Völker zu unterwerfen. Über die Verluste der siegreichen Germanenstämme wurde nichts überliefert. Ebensowenig ist der genaue Ort der Schlacht bekannt, was seit etwa fünfhundert Jahren, dem Zeitpunkt der Wiederentdeckung der antiken Schriften, von größtem Interesse und Anlass zu zahllosen Spekulationen ist.
Vor allem vier antike Autoren geben Schilderungen von den Ereignissen. Archäologisch belegt wird die Schlacht bisher lediglich mit der Inschrift des bei Xanten gefundenen Grabsteins des gefallenen römischen Centurios (Hauptmanns) Marcus Caelius. Mehr...
2.
Die Örtlichkeit der Schlacht
Der römische Geschichtsschreiber Tacitus beschreibt beim Auffinden des Schlachtfeldes durch Germanicus im Jahre 15 nach Chr. u. a., dass die bleichenden Knochen der Gefallenen zu sehen waren. Nach sechs Jahren ist dieser Umstand nur noch in einem aus hohen schattigen Bäumen bestehenden Wald möglich, auf dessen Erdboden so wenig Licht fällt, dass Gras und Sträucher nicht oder nur sehr spärlich wachsen.
2.1.
Der Teutoburger Wald
Tacitus, der als einziger eine, wenn auch sehr vage Beschreibung von der Lage des Schlachtortes gibt, berichtet davon, dass der Heereszug des Germanicus 15 nach Chr. von der Ems aus, und was zwischen den Flüssen Ems und Lippe lag verwüstend, bis zu 'den Äußersten der Brukterer' (einem Germanenstamm) vorrückte. In der Nähe (haud procul) war der saltus teutoburgiensis, der Teutoburger Wald, in dem die Gebeine der Gefallenen liegen sollten. 'haud procul' beschreibt eine Entfernung von etwa drei bis vier Stunden, wobei offen bleibt, ob diese zu Fuß oder anderweitig, z. B. auf einem schiffbaren Fluss, zurückgelegt wurde.
Die Wortherkunft des Teutoburger Waldes ergibt, dass es sich um einen Wald handelte, in dem so viele germanische 'Volksburgen' existiert haben, dass man ihn danach benennen konnte. Mehr...
Wegen der Angaben zum Sommerlager (s. u.) liegt die Umgebung der Weser als äußerste Ostgrenze des interessierenden Gebietes fest.
Aus diesen Angaben resultiert, dass mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit der saltus teutoburgiensis die Mittelgebirgsbegrenzung der westfälischen Bucht bzw. Teile derselben darstellt. Das sind im Nordosten der heutige Teutoburger Wald (der deshalb seinen Namen im 17. Jahrhundert auf Veranlassung Ferdinands von Fürstenberg, Bischof von Paderborn, erhielt), im Osten das Eggegebirge und im Süden die Ausläufer des rheinischen Schiefergebirges, Arnsberger Wald, Briloner Höhen und Warburger Wald.
2.2.
Weitere Hinweise auf den Ort des Geschehens
Von Bedeutung zur Auffindung des Schlachtfeldes sind ferner mindestens die örtliche Bestimmung des Sommerlagers der Römer 9 nach Chr. sowie die des Römerlagers Aliso und der heiligen Haine (Opferwälder) der Germanen.
2.2.1.
Das Sommerlager
Von dem Sommerlager ist nur soviel bekannt, dass es vom Rhein aus gesehen in Richtung Weser, möglicherweise auch an ihr, gelegen hat. Die Kenntnis über die Lage des Sommerlagers ist von Bedeutung, weil es sich in einen räumlichen Zusammenhang zum Schlachtort bringen lässt: bei der Schlacht könnte es sich um dreitägige Marschgefechte gehandelt haben, die am vierten Tag mit der vollständigen Vernichtung der Legionen ihr Ende fanden. Also resultiert, dass der erste Tag den Abmarsch aus dem Sommerlager, eventuell über einen Umweg, wie auch überliefert wird, Richtung Winterlager am Rhein oder auch an der Lippe beschreibt. Der Heereszug legte (ohne zu kämpfen) etwa 18 bis 20 Kilometer am Tag zurück. Die Marschrichtung wird durch den mitziehenden großen Tross fundamentiert.
Der Geschichtsschreiber Florus allerdings beschreibt das Schlachtgeschehen vom Sommerlager ausgehend und in den umliegenden Sümpfen und Wäldern, so dass die Folgerung einer zeitlich-räumlichen Beziehung entbehrlich ist.
2.2.2.
Das Römerlager Aliso
Das Auffinden dieses Lagers ist ein Hauptanliegen der Varusschlacht-Interessenten und ist bis heute nicht gelungen. Aliso ist das einzige namentlich genannte Römerlager in den Überlieferungen zur Varusschlacht. Beschrieben ist, dass es in einem infrastrukturellen Zusammenhang mit einem 16 nach Chr. von Germanen belagerten Lippekastell stand. Außerdem lag es in räumlichem Bezug zum Schlachtort im Jahre 9: Reste des Heeres und auch ein nicht näher bestimmbarer Teil des Trosses hatten sich in das einzige von den Germanen nicht eroberte Lager gerettet.
Spekuliert wurde und wird vor allem Folgendes:
Drusus hatte nach der Schlacht von Arbalo 11 vor Chr., aus der er knapp und mit Glück entkam, ein Lager am Zusammenfluss von Lippe und Elison errichtet. Wegen der Namensähnlichkeit Elison - Aliso wurde dieses Lager infolge als Aliso angesprochen. Der Fluss Elison ist vom Namen her aber nicht mehr lokalisierbar. Auf der Suche nach Aliso an der Lippe (!) hatte man um 1900 die Idee, aufgrund der Ähnlichkeit der Namen Alisos und der Flur Elsey bei Bergkamen dort nach römischen Bodenfunden zu suchen. Tatsächlich fand sich am Einfluss der Seseke in die Lippe, in Bergkamen-Oberaden, ein bedeutendes Legionslager. Man glaubte, Aliso gefunden zu haben. Wegen der dendrochronologisch und durch Funde bestätigten Zeit der Errichtung des Oberadener Lagers sowie eines untypischen Gebäudes, das für einen Vertreter der kaiserlichen Familie angemessen war, wurde Oberaden in neuerer Zeit als das Drususlager bestätigt und der Fluss Seseke gilt somit als Elison. Die Identifizierung als Aliso ist allerdings unbegründet. Dass man am vermeintlichen Aliso auf das Drususlager stieß, bedeutet nicht, dass eine der Namensähnlichkeiten Beweiskraft hätte. Mehr...
Daneben gibt es noch weitere Erklärungsansätze, z. B. dieser: Der Flurname Elsen legt den Bezug auf ein wahrscheinlich schwierig nachweisbares Lager in Paderborn; allein zwei Pfalzen haben dort an dem geeigneten Platz vor der Entstehung der mittelalterlichen Stadt bestanden.
In jüngerer Zeit wurde auch das Lippelager Anreppen als Aliso favorisiert, eine Rolle dieses Lagers in der Varusschlacht ist jedoch ohne archäologischen oder historischen Beweis. Mehr...
2.2.3.
Die heiligen Haine
Die Germanen hielten es mit der Größe der Himmlischen für nicht vereinbar, sie in Hauswände einzusperren. Deshalb weihten sie ihnen Wälder und Haine. Sie opferten ihnen Tiere, Gefäße und Waffen und es gab gelegentlich rituelle Hinrichtungen. Im Fall der Varusschlacht lagen heilige Haine in unmittelbarer Nähe des Schlachtgeschehens. Überlebende des Massakrierens berichteten, dass in diesen Opferwäldern der Germanenstämme die gefangenen Tribunen und Centurionen (römische Offiziere) aus der Schlacht hingerichtet und in Opfergruben geworfen wurden. Diese könnte man ggfs. archäologisch nachweisen.
3.
3.1.
Die Kontrahenten
Quinctilius Varus
Quinctilius Varus, seit 6 / 7 nach Chr. römischer Oberbefehlshaber der Rheinarmee und Statthalter für Germanien, befehligte die genannten Truppen im Sommerlager. Er hatte u. a. als Statthalter der Provinz Syrien Erfahrungen gesammelt, schlug in Judäa Unruhen nieder, die nach dem Tod König Herodes des Großen 4 vor Chr. entflammten, und ließ auf einen Schlag 2000 Aufständische kreuzigen. Sein Aufenthalt in Germanien diente der Durchsetzung römischer Verwaltung und römischen Rechts. Allerdings war seine Vorgehensweise nicht besonders geeignet, die Germanen als Untertanen Roms zu gewinnen. Die Cherusker beispielsweise waren seit 4 nach Chr. Bundesgenossen Roms und damit lediglich zu militärischen Diensten verpflichtet. Varus hingegen behandelte die Germanen wie Unterworfene: er erhob außergewöhnlich hohe Steuern und mit Anwendung der Todesstrafe setzte er sich über ihre religiöse Ordnung hinweg - ihr Vollzug war traditionell abhängig vom Ratschlag der Priester.
3.2.
Arminius
Arminius, Sohn des Cheruskerfürsten Segimer und als Cherusker Verbündeter Roms, war im pannonisch-dalmatischen Krieg, der Niederschlagung eines Aufstandes im römisch besetzten Illyricum, siegreich. Er kannte sich im römischen Militärwesen gut aus und war mit römischen Kampftechniken und -taktiken vertraut. Eher 8 als 9 nach Chr. kehrte er mit der von ihm geführten cheruskischen Reitereinheit aus diesem Krieg zurück. Durch seinen Einsatz gelangte er als einziger cheruskischer Adliger in den Stand eines römischen Ritters und genoss nicht zuletzt dadurch bei Varus Vertrauen. Mit seiner Rückkehr in zeitlichem Zusammenhang stand der Tod seines Vaters, dessen Nachfolge er übernahm. Neben Arminius herrschten mindestens sein Onkel Inguiomer und sein Schwiegervater Segestes sowie dessen Bruder Segimer als Fürsten über jeweils einen Teil der Cherusker.
Auch oder gerade als Bundesgenosse Roms konnte Arminius den Umgang mit seinem Volk, wie durch Varus geschehen, nicht übersehen. Er verstand es, weitere Germanenstämme zum Kampf gegen die Römer zu bewegen. Wie ihm das gelang, ist nicht geklärt: anders als bei den Römern gab es keinen Oberbefehlshaber über die Krieger der Germanen, die sich zudem keinesfalls als eine einheitliche Volksgruppe betrachteten. Auch gab es Stämme oder Gruppen innerhalb dieser, so auch wahrscheinlich bei den Cheruskern selbst, die prorömischer Gesinnung waren bzw. blieben. Schon die Einweihung aller Verantwortlichen der beteiligten Germanenstämme barg in hohem Maße also das Risiko des Scheiterns. Mehr...
4.
Die Schlacht
Velleius Paterculus, Reiteroffizier im römischen Heer, Zeitgenosse von Arminius und Verfasser einer 'Römischen Geschichte' schreibt uns: "Das römische Heer wurde endlich von einem Feinde niedergemetzelt, den es selbst früher wie Vieh geschlachtet hatte, dessen Leben und Tod nur von seiner Gnade oder seinem Zorn abhängig gewesen ist." (Velleius Paterculus, Historia Romana II, 119, 2). Mehr...
Wie oben bereits gesagt, gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Versionen über den Hergang der Schlacht. Gemeinsam ist beiden, dass man anhand der fehlenden Erwähnung eines Massakers an Zivilisten in allen Quellen davon ausgehen darf, dass die Germanen den Tross des Heeres hatten ziehen lassen.
4.1.
Ausgangslage und Lage während des Schlachtverlaufs
Arminius kehrte als Anführer einer cheruskischen Reitereinheit mit dieser aus dem pannonisch-dalmatischen Krieg zurück. Wenn er auch kein großes Heer aufstellte, die Überlieferung berichtet aus Sicht der Römer von Vertragsbruch und einer Falle in die Varus gegangen ist, so nutzte er möglicherweise den richtigen Ort zur richtigen Zeit für sein Vorhaben: Die Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche, ohnehin ein germanischer Feiertag, fiel mit einem Vollmond zusammen, letzteres ein Ereignis, an dem traditionell (kultische) Versammlungen abgehalten wurden, wenn sie erforderlich waren. Dieser astronomische Zusammenhang fiel in die dritte Dekade des Septembers 9 nach Chr., die als Zeitpunkt der Varusniederlage wegen der Nachricht über sie in Rom fünf Tage nach Beendigung des pannonisch-dalmatischen Krieges bestätigt ist. Es kann also, ohne das Misstrauen der Römer geweckt zu haben, eine Anzahl von Germanen zu dieser Zeit in den heiligen Hainen (Opferwäldern) bzw. bei einem hier bestehenden Heiligtum versammelt gewesen sein, die gegen ein Drei-Legionen-Heer etwas hätte ausrichten können.
Am 23. September war der Geburtstag des Prinzeps (Kaisers) Augustus, was auf römischer Seite Feierlichkeiten beinhaltete.
Die Ausweglosigkeit, in der sich die Römer schon bald nach Beginn der Schlacht befunden haben müssen, belegt auch die Tatsache, dass der Kommandeur zwei weiterer in Germanien befindlicher Legionen, Legat Asprenas, es für taktisch sinnvoller hielt die Rheingrenze zu sichern, als den bedrängten Legionen zu Hilfe zu eilen. Seine Entscheidung wird von Historikern als die für die Sicherung des Römischen Reiches Richtige beurteilt: durch die Ereignisse in Germanien drohte vor allem zunächst ein Aufstand der gallischen Stämme, hätten die Germanen den Rhein überschritten.
4.2.
Die Überlieferung nach Florus
Florus berichtet vom Überfall auf das Sommerlager und von dem dort ausgehenden und dann in den Sümpfen und Wäldern stattfindenden Kampf. Inwieweit ein 'Überrennen' dieses von einem riesigen Tross umgebenen Lagers militärisch überhaupt möglich gewesen ist, wird angezweifelt. Andererseits ist überliefert, dass sich die Germanen nach der Schlacht in den Besitz sämtlicher innergermanischen Kastelle und Lager bis auf das Kastell Aliso gebracht hatten. Der eingangs erwähnte Grabstein des Centurios Caelius bekräftigt diese Überlieferung durch Verwendung des Begriffes des varianischen Krieges. Die von den Römern angeheuerten und in den Lagern ebenfalls stationierten Auxiliartruppen könnten hierbei eine Schlüsselrolle gespielt haben.
4.3.
Die andere Version
Auf dem Weg vom Sommer- in das Winterlager am Rhein oder auch an die Lippe verließ Varus mit seinen Legionen den Hauptweg. Es wird berichtet, dass er einen Umweg machte, um einen wahrscheinlich vorgetäuschten germanischen Aufstand zu befrieden. Im Vertrauen auf den, laut Überlieferung, wie sich herausstellen sollte, vertragsbrüchigen Cheruskerfürsten Arminius, Verbündeter Roms im pannonisch-dalmatischen Krieg, geriet er in eine tödliche Falle.
(In Hinblick auf die o. g. örtlich-zeitliche Konstellation ist es hier z. B. denkbar, dass Varus von Arminius beabsichtigt auf heiliges Terrain der Germanen gelangte, wofür er mit seinem und dem Leben seiner Soldaten bezahlen musste.)
4.3.1.
Der Schlachtverlauf nach Dio
Der Geschichtsschreiber Cassius Dio, und Tacitus scheint ihn zu bestätigen, berichtet von dreitägigen Marschgefechten, d. h. die Römer versuchten zwischen den germanischen Attacken zu fliehen:
Der erste Kampftag war durch Angriffe der Germanen gekennzeichnet, denen die Römer in einer nicht gefechtsbereiten Marschordnung gegenüber standen. Der Tross war über den mehrere Kilometer langen Heereszug verstreut. Am Abend gelang es den Römern, ein Drei-Legionen-Marschlager zu errichten, teilweise wurden mitgeführte Wagen verbrannt oder am nächsten Tag zurück gelassen. Am zweiten Kampftag hatte sich die Truppe vom Tross getrennt. Durch ständige Attacken der Germanen mussten die Römer schon erhebliche Verluste hinnehmen. Wie an den anderen Tagen machte widriges Wetter besonders den Römern zu schaffen. Abends errichteten sie ein Notlager mit Wall und flachem Graben. Der dritte Kampftag schließlich brachte den Untergang der Legionen. Varus und die hohen Offiziere begingen Selbstmord.
5.
Schlussbemerkung
Die Varusschlacht war und blieb bei Weitem nicht die einzige militärische Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen. Sie markiert vielmehr den Zeitpunkt des Endes der erfolgreichen Eroberungsbestrebungen der Römer in Germanien, die mit Iulius Caesar in der Dekade zwischen 60 und 50 vor Chr. ihren Anfang nahmen.
Wiedereroberungsversuche, soweit man diesen Begriff hier anwenden kann, vor allem unter Germanicus, der mit nahezu einem Drittel der dem gesamten Weltreich zur Verfügung stehenden Truppen in Germanien einmarschierte, scheiterten. Arminius und die Germanen erwiesen sich in dem Land zwischen Rhein und Elbe mit seinen topographischen und klimatischen Bedingungen als mit römischen Mitteln nicht zu überwindende Gegner. Rom musste den Rhein im Westen und die Donau im Süden Germaniens als endgültige Grenzen akzeptieren. Es resultierte der Bau des Limes, des römischen Grenzwalls.